Die Maschine steht still von E.M. Forster

November 30, 2016





(Original: "The Mashine Stops" / 1909) Hoffmann und Campe, Übersetzer/in: Gregor Runge, 80 Seiten, gebunden, Leinen,  Einzelband, ★★★★() 4 bis 5 Sterne

"In E. M. Forsters Dystopie leben die Menschen in einer unterirdischen, abgekapselten Welt mit allem Komfort: Das ganze Leben ist durch die Dienstleistungen der »Maschine« perfekt geregelt. Die Menschen haben kein Bedürfnis mehr nach persönlichen Begegnungen, man kommuniziert nur über die Maschine, die über allem wacht. Ihr Handbuch ist zu einer Art Bibel geworden, die Menschen sind gefangen in ihrer absoluten Abhängigkeit von der Technik, die sie nicht mehr kontrollieren können. Doch nach und nach geht das Wissen, das hinter der Maschine steckt, verloren und das System wird anfällig für Pannen ... E. M. Forsters visionäres Werk wirft Fragen auf, die von großer Aktualität sind: Wie kann der Mensch seine Selbstbestimmung wahren gegenüber Maschinen, die immer stärker unser Leben bestimmen?"


MEINE MEINUNG | FAZIT 

"Die MASCHINE ist vieles, aber nicht alles. Obwohl ich auf dieser Scheibe etwas sehe, das dir ähnlich ist, sehe ich nicht dich. Obwohl ich durch den Fernsprecher etwas höre, das dir ähnlich ist, höre ich nicht dich. Deswegen will ich, dass du zu mir kommst.“  S.8

Mich erstaunt und verblüfft es immer wieder, wenn ich sehe, dass auch Erzählungen aus dem Jahr 1909 so zeitgemäß sein können und hinsichtlich der technischen Entwicklungsprozesse so vorausschauend waren. E.M. Forsters Erzählung erstreckt sich zwar nur über knapp achtzig Seiten, ist aber voll von zum Nachdenken anregenden Passagen, die einem allerdings auch aufgrund des Gedankens, dass dies noch zutreffen könnte, etwas Gänsehaut bescheren. Dystopische Romane sind ja schon seit einiger Zeit "der letzte Renner" orientieren sich aber eher an der Struktur der Gesellschaft und ihres selbstzerstörerischen Handelns. Forster greift dies natürlich auch auf, setzt es aber in den Kontext der Technik. "Die MASCHINE" dient hier als Hauptanker und ist das Konstrukt, welchem sich die Menschen selbst verschrieben haben. Ich fand es unfassbar gut gelungen, wie man diese Isolation, in der sich die Menschen befinden, spüren kann und sich gleichzeitig davor fürchtet, dass es sich der Umgang der Menschen tatsächlich so weiter entwickeln könnte. Wir kommunizieren ständig über Handy, Computer und deren ausgeklügelte Programme, die uns unser Gegenüber so realistisch und "nah" zeigen sollen, wie nur möglich. Daraus entsteht aber die Überlegung, warum man sich dann überhaupt noch von Angesicht zu Angesicht sehen sollte. Die Technik nimmt uns alle Schwierigkeiten ab. Kein lästiges Rumfahren mehr, keine Unpünktlichkeit. Alles kann durch einen Klick gesteuert, bekommen oder weggebracht werden. Selbst die Luft wird in den Räumen, in denen sich die Menschen befinden nur "aufgefrischt". Bereits diese Darstellung klingt sehr kalt und distanziert. Und auch die Protagonisten müssen sich mit dieser Erkenntnis auseinandersetzen.

"In jenen Tagen reiste man nur selten, denn aufgrund des Fortschritts sah die Erde überall gleich aus.“  S.19

Im Mittelpunkt stehen eine Mutter und ihr Sohn, welche eigentlich das klassische Handlungsmuster aufweisen. Der Sohn beginnt die "MASCHINE" zu hinterfragen, die Mutter hingegen fügt sich dem System. Trotz des bekannten Schemas, in welchem also beide Seiten vertreten sind, schafft Forster es, die Erzählung in ihrer Dramatik immer weiter zu treiben. Der Leser spürt zunehmend die "Bewegung", die sich in der Entwicklung und den Problemen des Systems auftun. Es geht um die immer stärker werdende Bequemlichkeit der Menschen. Sie hinterfragen nichts, beugen sich der ihnen vorgegebenen Vorschriften und verfallen in eine Art Wahn, die dafür sorgt, dass sie sich selbst ihren Untergang herbeirufen. Mich persönlich faszinieren solche Erzählungen immer wieder, besonders dann, wenn sie so früh verfasst wurden und man irgendwie nicht glauben kann, dass sich immer noch kaum etwas verändert hat, zumindest hinsichtlich der sehr naiven und leichtsinnigen Handlungsweise der Menschheit. Die Erzählung bringt einfach alles mit sich, was so eine dystopische Darstellung braucht und sorgt tatsächlich dafür, dass man sie gerne jedem unter die Nase reiben würde, damit sich vielleicht der ein oder andere verloren gegangene Bezug zur "realen Welt" retten lassen könnte. Auf den letzten Seiten kommt es quasi zum großen "Showdown", welcher mir beim ersten Lesegang noch einige Fragen aufgeworfen hat, welche aber dafür sorgen, dass man sich gerne näher mit der Erzählung beschäftigt und sich vielleicht auch eine zusätzliche Interpretation zurechtlegt.

"Zunächst beschwerte man sich hartnäckig, dann nahm man es hin, und schließlich war es vergessen. Alles  verkam, und niemand nahm Anstoß.“  S.68


Eine kurze dystopische Erzählung, welche durch ihre geschickte, wenn auch nicht neue Art der Auslegung beider Seiten, sprich eine Seite die gegen die Entwicklung ist und eine die für diese ist, überzeugt. Erstaunlich wie nah die Zukunftsvision von Forster an gewisse bereits eingetroffene Fortschritte hinsichtlich der Technik übereinstimmt. Baut bis zum Schluss eine gekonnte Spannung auf und bietet reichlich Einblicke in eine sehr triste und auch angsteinflößende Zukunft, da die Isolation im Fokus steht und diese für den Menschen nie eine positive Entwicklung darstellt.


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