Babbitt von Sinclair Lewis

November 09, 2017

Werbung ~ Rezensionsexemplar (Original: "Babbitt"/ 1922) Manesse Verlag, Übersetzer/in: Bernhard Robben (aus dem Amerikanischen), 783 Seiten, gebunden★★★() 4 bis 5 Sterne
Diese Ausgabe ist Teil der neuen Manesse Bibliothek
"In seinem ereignislosen, durchschnittlichen Kleinstadtleben hat der Immobilienmakler George F. Babbitt sich recht bequem eingerichtet. Seine drei Kinder sind wohlgeraten, wenn sie auch meist nicht auf ihn hören; mit seiner Frau verbinden ihn liebgewonnene Gewohnheiten. Sein ganzes Streben ist auf gesellschaftliche Anerkennung und wirtschaftlichen Aufstieg gerichtet. Bis ihm eines Tages bewusst wird, dass er all dies so nie gewollt hat, und einen Ausbruchsversuch wagt. Mit feinem Spott, ironischem Witz und stets voller Sympathie für den charakterschwachen Protagonisten erzählt der Roman, wie Babbitt sein rebellisches Selbst wiederentdeckt."


MEINE MEINUNG | FAZIT
  
"Er hieß George F. Babbitt, war gerade, im April 1920, sechsundvierzig Jahre alt geworden und stellte selbst nichts Nennenswertes her, weder Butter noch Schuhe oder Gedichte, doch war er äußerst schick darin, Häuser für weit mehr Geld zu verkaufen, als sich die Leute eigentlich leisten konnten." S.9

"Zenith" ist die Stadt, in der sich George F. Babbitt und seine Familie Zuhause fühlen. Und diese Stadt ist ihrem Namen sehr treu, denn sie bildet den Höhepunkt des Ansehens für die Bewohner. Sie ist das Zentrum des Geschehens, das Zentrum der Menschen die dort leben und das Zentrum aller 'guten' Wert- und Moralvorstellungen. So zumindest empfinden das die Protagonisten und Charaktere in Sinclair Lewis´ Roman.
Dabei fühlt sich 'Babbit' während der umfangreichen Darstellung seiner Gesellschaft immer hin und her gerissen zwischen den Absichten die er eigentlich verfolgen sollte und den Wünschen, nach denen er persönlich strebt. Ein gewisses Bild muss natürlich für die Gesellschaft gewahrt werden. Man muss erfolgreich sein, Geld besitzen, beliebt sein, auf Partys der Mittelpunkt sein und sich bestenfalls einer Bürgergruppe anschließen, die gewisse standhafte, wenn auch nicht immer fortschrittliche Meinungen vertritt. Und mittendrin findet sich eben der Protagonist wieder. Genau dieser Strudel und Zwiespalt macht die Geschichte und auch die Darstellung des Lebens der Figur so interessant. Bereits nach den ersten Seiten war ich sofort gefesselt von den schlagfertigen, wenn auch chaotischen Dialogen der Familie Babbit, dem mitschwingenden Gefühl davon, dass keiner genau weiß, was er eigentlich macht, aber vorgibt es zu wissen und der allgemeinen Atmosphäre des Buches.
Insgesamt bleibt bereits zu Beginn das Gefühl von bösem, aber sehr genauem und feinfühligem Witz bestehen, welches sich mit dem Eindruck vermischt, dass sich die Gesellschaft, insbesondere die vermeintlich 'bessere' und 'gehobenere' Gesellschaft nicht sonderlich verändert hat. Oberflächlichkeiten spielen in diesem Roman, der zu einer doch recht frühen Zeit erschienen ist, eine erhebliche Rolle.

"Babbit schnaubte verächtlich. 'Was erwartest du denn? Glaubst du, wir sind zum Vergnügen hier auf Erden? Um wie sagt man, <aus Rosen gebettet> zu leben? Glaubst du, der Mensch wurde geschaffen, um glücklich zu sein?'S.128

Man könnte zunächst annehmen, dass dem Leser nach einer gewissen Seitenzahl dieses ständige 'Ja, so mach ich das jetzt' und 'Nein, das kann ich nicht tun' nur noch ermüdet, aber hier ist es erstaunlich amüsant umgesetzt. Natürlich weiß man als Leser nach einiger Zeit worauf er sich bei 'Babbit' einlassen muss, was für Handlungen für ihn realistisch erscheinen und in welchen Konflikten er nachgibt und dennoch bleibt man gerne an seiner Seite und gibt sich den manchmal absurden Gesprächen und Treffen der Mitmenschen gerne hin.
Die Handlung selbst wirkt am Ende etwas zurückhaltend. Es gibt durchaus einige Wendungen, die mich erstaunt haben, die aber eher seine Freunde involvieren. 'Babbitts' Leben und die Umsetzung im Buch sind meiner Meinung nach auf einer anderen Ebene interessanter, als der bloßen Handlung. Sein Charakter entfaltet sich mit der Zeit. Anfangs schien mir alles wirklich wie eine Kulisse. Manchmal hatte ich sogar eine Art 'Set' vor Augen, wie aus 'Die Truman Show', da sich alle wie nach einem geplanten Ablauf verhalten haben. Ganz abschütteln konnte ich das Gefühl zum Schluss nicht, aber es gibt ein durchaus gut aufgebautes Gerüst der Figur 'Babbit', das sich zumindest so entfaltet, dass der Leser gewisse Fortschritte im Denken des Protagonisten sieht, die ihn mitreißen.
Greift man zu diesem Roman, muss man sich aber eben durchaus darauf einlassen, dass es eben verstärkt um den zwischenmenschlichen Druck geht, der ständig zwischen verschiedenen Parteien aufgebaut wird und dass man es eher vereinzelt mit wirklichen 'Plottwists' zu tun hat.

"'Ja, und erst Howard Littlefield! Weißt du, erst gestern Abend hat Eunice erzählt, ihr Papa würde drei Sprachen sprechen!', sagte Mrs. Babbitt.

      'Na und? Ist doch nichts dabei! Ich spreche auch drei: Amerikanisch, Baseball und Poker!'" S.200


Setzt die Frage in den Fokus, wie 'anständige, amerikanische' Bürger in den Zwanzigern auszusehen hatten und spielt mit Vorurteilen und Stereotypen. Zudem gefüllt mit Witz, bösem Humor und einer feinen Beobachtungsgabe. Geld, Macht und die Anerkennung in der Gesellschaft sind ebenfalls vordergründig vertreten. Im Gegensatz zu den oberflächlichen und strengen Ordnungen der Menschen der Stadt 'Zenith' steht aber der Protagonist 'Babbit', der sich durch eine sehr lebhafte und wechselhafte Entscheidungsfreude auszeichnet. Hin und hergerissen zwischen seinen Wünschen und den Anforderungen seiner Gesellschaft, wirkt er manchmal wie ein kleiner Lichtblick. Doch kann er sich selbst davon überzeugen, dass Geld und Beliebtheit nicht alles sind oder wird ihn 'Zenith' letztlich verschlingen und wieder zum Mittelpunkt aller Anstrengungen?





1 Kommentar:

  1. Ich mag Deine ausführlichen Rezensionen. Das Cover des Buches ist sehr gelungen, finde ich. Und auch das was du schreibst, macht neugierig =)

    Neri, Leselaunen
    www.leselaunen.net

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