Unvollkommene Verbindlichkeiten von Lena Andersson

Mai 10, 2017






(Original: "Utan personligt ansvar" / 2014) Luchterhand Verlag, Übersetzer/in: Gabriele Haefs (aus dem Schwedischen), 382 Seiten, gebunden,  ★★(☆) 4 bis 5 Sterne 
"Nichts ist komplizierter als die Beziehung zwischen Mann und Frau. Das muss auch Ester Nilssons feststellen, Mitte dreißig und von Beruf Journalistin und Dichterin. Fünf Jahre sind vergangen seit ihrer unglücklichen Liebesbeziehung mit dem Künstler Hugo Rask, und Ester hat sich vorgenommen, dass ihr so etwas nie mehr passieren wird: einen Mann zu lieben, der sich nicht festlegen und ganz zu ihr bekennen will. Dann trifft sie bei einer Theaterprobe den Schauspieler Olof und verliebt sich Hals über Kopf in ihn. Olof macht kein Geheimnis daraus, dass er verheiratet ist. Trotzdem trifft er Ester. Die beiden gehen eine Beziehung ein, von der Olof behauptet, es sei keine. Er hat schließlich nicht vor, seine Frau zu verlassen. Also worauf wartet Ester?"


MEINE MEINUNG | FAZIT

"Ester Nilsson hatte psychologischen Realismus angestrebt, und ihrer Ansicht nach war ihr das auch gelungen, aber die Kritik bezeichnete ihr Werk als Absurdismus.“  S.8

Man muss Lena Anderssons Roman "Widerrechtliche Inbesitznahme" zwar nicht zwingend kennen, um diesem Roman folgen zu können, aber es bringt den Vorgänger auf ein neues Level. Das Buch thematisiert eine neue Liebe der Protagonistin Ester Nilsson, wobei das Wort "Liebe" hier eine ganz eigene Dynamik und Bedeutung bekommt. 
Der Leser folgt einem verzwickten Spiel, das beide Partner spielen. Wie bereits in der Inhaltsangabe angedeutet, liegt das Problem dieser Beziehung darin, dass Olof, Esters große Liebe, verheiratet ist. Nun könnte man annehmen, dass Lena Andersson diese Pattsituation so darlegt, wie es gewöhnlich in Romanen abläuft. Und zum Teil muss man sich vielleicht auch eingestehen, dass es so ist. Denn es gibt ein ständiges Hin und Her, was die Definition und den Beziehungsstatus der beiden angeht. Die Protagonisten sorgen dabei für Kopfschütteln, für innerliche Wutausbrüche und paradoxerweise einen gewissen Anteil an Verständnis für die bizarren Handlungen, die beschrieben werden.
Man wird in eine Welt des seelisch selbstzerstörerischen eingeladen, das man am liebsten ganz schnell von sich abschütteln wollen würde, was einen aber dennoch immer wieder in einen Sog zieht und dafür sorgt, dass diese wirklich ständigen Wiederholungen von Annäherung und Abstoßung nicht "langweilig" werden. Es ist diese Kombination aus ewigem Wiederkehrenden, das scheinbare nicht Durchbrechen von Mustern und aber der doch reflektierten und sehr psychologischen Entwicklung Esters mit jedem weiteren "Rückfall". Es ist wahnsinnig spannend zu sehen, wie sich diese dem Leser scheinbar offensichtliche Sturheit und Verbissenheit der Protagonisten und des daraus folgenden Unglücks, immer in neue Wege abzweigt. Man denkt, man wisse alles, was noch folgen wird und dann kommt die Autorin aber mit neuen psychologischen und wunderbar bildhaften Vergleichen der "Beziehung", das man sich selbst in diesem Kreislauf gefangen sieht. Man will aus dem Geschriebenen ausbrechen, weil man denkt, es kommt nichts Neues mehr und wird dann wieder vom geschickt neu eingeworfenen Gedanken zurückerobert.

"Schwach ist der Teil, der zu viel will, stark ist der, dem es mehr oder weniger egal ist.“  S.78

Ich kann nicht leugnen, dass mir die gleiche Protagonistin, da auch schon aus vorherigem Buch bekannt und trotz der präsenten Naivität, als gut gewählt erscheint. Auch hier könnte man meinen, dass sich alles wiederholt, dies trifft aber nicht zu. Die Protagonistin findet neue Ansätze, welche die Problematik gewisser Beziehungskonstellationen ganz gut neu darlegen. Es ist tatsächlich so, dass man mit ihr mitfühlt, man ihr Ratschläge geben möchte, obwohl man weiß, dass diese Abprallen werden. Der auch hier aufgeführte "Frauenchor" bestehend aus ihren Freundinnen, leistet nämlich auch hier wieder gute Arbeit. Es zeigt aber dieses Musterverhalten ganz gut auf, was durch den Austausch der Protagonistin sicherlich nicht so gut gelungen wäre. 
Es ist aber auch so, dass ich an vielen Stellen die Andeutungen als zwiespältig empfunden habe, vor allem zu Beginn. Man muss sich erst ein wenig zurechtfinden, in wieweit man Esters Sicht und ihrer "Abhängigkeit" zu Olof trauen kann, sprich in wie weit ihre Wahrnehmung der Nähe und des Abstandes zutrifft. So ist es auch nicht überraschend, dass das Buch zwar einerseits eine scheinbar oberflächliche Betrachtung einer problematischen Beziehung aufzeigt, aber wenn man daran interessiert ist und die vielen psychologischen Äußerungen stärker integriert, auch eine sehr intelligente und kompliziertere Erklärung bereithält. Es ist auch hier wieder ein Spiel zwischen Offensichtlichem und Verborgenem, das man zu deuten wissen oder besser gesagt versuchen muss.

"Sehen wir uns doch nur die Strategie an, mit der Gott das Interesse der Menschen festhält. Niemand hat die Psychologie von Abhängigkeit und Doppelbindung so gut durchschaut wie er. Er weiß, wie man Menschen mit genau der richtigen Dosis Liebe und Kälte an sich bindet, damit sie sich niemals losreißen können, damit er niemals verlassen wird. Und die Menschen richten sich so ein, dass sie niemals aufhören müssen, ihren Retter zu lieben und zu brauchen." S.287

Sehr intelligenter, wenn auch stark psychologischer Roman über die Verhaltensmuster einer (problematischen) Beziehung. Spielt auf verschiedenen Ebenen mit Nähe und Distanz und sorgt für einen Lesesog. Man muss sich aber auch auf die Zwischenrtöne einlassen können, sonst könnte einem die bloße Handlung zu "einfach" vorkommen. Mich konnte Lena Andersson aber erneut überzeugen.

Vielen Dank an den Luchterhand Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!


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