Im unwahrscheinlichen Fall von Judy Blume

April 26, 2016


(Original: "In the unlikely event" / 2015) 512 Seiten,  gebunden,  Einzelband |  ★★★★☆  4 Sterne

"1952: Die 15-jährige Miri Ammermann wächst wohlbehütet im Städtchen Elizabeth, New Jersey, auf. Ihr Vater hat sich zwar früh aus dem Staub gemacht, aber ihre liebevolle und kämpferische Mutter, ihre weise Oma, ihre beste Freundin Natalie und all die anderen Menschen in ihrem Umfeld stehen ihr bei ihren Schritten ins Erwachsenenleben zur Seite. Als sie ihre erste große Liebe Mason kennenlernt, scheint das Glück perfekt zu sein. Doch dann stürzt ein Flugzeug ab, und nichts ist mehr, wie es war."



MEINE MEINUNG | FAZIT

"Doch wir gehören immer noch einem Geheimclub an - einem, dem wir nie freiwillig beigetreten wären, mit Mitgliedern, die nichts gemeinsam haben, außer eine Zeit und einen Ort.
S.10

Eins steht schon einmal fest: das Ereignis des Flugzeugabsturzes wird nicht zu kurz angeschnitten. Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass das Buch rund um dieses Ereignis rumschreiben würde, was es zwar in einer gewissen Hinsicht auch macht, aber dennoch in einer anderen Art und Weise, wie man es annehmen könnte. Der Beginn des Ganzen ist für den Leser zunächst noch etwas undurchsichtig. Erst, als ich das Buch zu Ende gelesen habe und mir die markierten Stellen noch einmal durchgelesen habe, ist mir die Verknüpfung zwischen dem Ende und dem Anfang des Buches wirklich bewusst geworden. Natürlich habe ich den Anfang ebenso aufmerksam gelesen, aber mit der Zeit, muss ich wohl zugeben, habe ich gar nicht mehr an die ersten beiden Seiten gedacht. Das kann man positiv oder auch negativ sehen. Zumindest hat mich dadurch zum Schluss, die Wucht des Buches noch einmal "mitgezogen", denn die Verknüpfung war, wie ich finde, sehr geschickt gewählt. So muss ich sagen, stand ich dem Buch zunächst sehr skeptisch gegenüber. Es ging mir lange Zeit so, dass ich einzelne, pointierte Passagen sehr stark fand und andere hingegen im Vergleich dazu als unfassbar belanglos empfand. Natürlich ist für die Autorin hinsichtlich ihrer Figuren nichts wirklich belanglos, aber meiner Meinung nach hätte man viele Sachen weglassen können. Was mir gut gefallen hat, waren hingegen die zeitlichen Verknüpfungen. Die Geschichte spielt 1952 und das merkt der Leser auch deutlich. Die Atmosphäre wird gut vermittelt und trägt auch zur der "Überzeugungskraft" der Geschichte bei. In der Danksagung erwähnt die Autorin allerdings auch, dass sich gewisse Ereignisse, die für die Geschichte unverzichtbar sind, wirklich ereignet haben, was mich persönlich noch gefühlvoller zurückgelassen hat, da man vieles mit einer anderen Wahrnehmung betrachtet.

"Nimm dich in Acht. Das war ihre Standardantwort auf alles. Nimm dich in Acht wovor? hatte Gaby immer fragen wollen, aber sie kannte die Antwort ja schon: Nimm dich in Acht vor dem Leben." S. 288

Der Schreibstil ist für die Art von Roman sehr zutreffend und auch angemessen. Es werden sehr viele Perspektiven und Charaktere in den Vordergrund gestellt, die dadurch auch das Gefühl des Zusammenhalts verstärken, auch wenn die Geschichte thematisiert, dass sich ein Zusammenhalt leicht lösen kann. Das verhalten der Gesellschaft wird aber auch nicht nur positiv bewertet, sondern steht immer in einem kritischen Zusammenhang, da die Geschichte auch das "Verdrängen" gewisser Dinge thematisiert. Die Kapitel sind recht kurz und tragen immer die Überschrift des Protagonisten, über den gerade erzählt wird. "Miri" tritt dabei aber deutlich noch etwas weiter hervor, als alle anderen Figuren. Diese Form der Erzählung fand ich ebenfalls recht schlüssig, wobei man am Anfang noch deutlich länger braucht, um alle Verwandtschaftsverhältnisse überblicken, und dem Verlauf einfach folgen zu können. Die Einführung der, immer mal wieder, auftauchenden Zeitungsartikel, hat mir ebenfalls gut gefallen. Ich denke, dadurch hat sich das Gefühl verstärkt, dass man als Leser Teil dieser Gemeinschaft wird und quasi, wie die Bewohner auch, immer auf dem Laufenden gehalten wird. Man merkt deutlich, dass die Figuren einem nicht egal bleiben. Wobei ich definitiv auch mit einigen Charakteren meine Schwierigkeiten hatte. Sie waren mir vielleicht einfach zu unsympathisch oder haben sich für mich nicht vollkommen authentisch angefühlt, aber wie dem auch sei, insgesamt, hat das "Stadtbild" gut gepasst. Obwohl das Buch scheinbar alles aufzudecken scheint, bleiben beim Leser noch einige Fragen im Hinterkopf. So hat mich vor allem "Natalies" Charakter mitunter am meisten interessiert, weil man nie wirklich erfährt, was gewisse Anspielungen nun beabsichtigen sollten beziehungsweise, wie man sie selbst am liebsten deuten würde.

"Für den unwahrscheinlichen Fall... Aber das ganze Leben ist ja nichts als eine Abfolge von unwahrscheinlichen Fällen, oder? Ihres jedenfalls. Ein unwahrscheinlicher Fall nach dem anderen, die sich zu einem vielschichtigen Ganzen verbinden." S. 501


Eine Geschichte, die aufzeigt, wie sehr Menschen zusammenhalten (wollen), wenn sie das gleiche Schicksal getroffen hat. Viele Passagen sind sehr gefühlvoll und hinterlassen einen bleibenden Eindruck bei dem Leser. An mancher Stelle hätte ich zwar auf gewisse Handlungsstränge verzichten können, dennoch wird eine ganz besondere Atmosphäre aufgebaut, die besonders am Ende, die manchmal langatmigen Kapitel "wiedergutmacht". Viele Figuren werden erwähnt, aber vor allem "Miri" steht im Vordergrund. Auch hier muss ich sagen, hat das einen positiven Effekt, da die Fünfzehnjährige nicht nur die Geschichte der Stadt, in Hinblick auf das Ereignis, sondern auch ihre eigene Geschichte vom erwachsen werden, erzählt.



Vielen lieben Dank an den Heyne Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!



5 Kommentare:

  1. Hallöchen,
    das Buch mich sehr interessiert, wir haben es schon eine Weile als Leseexemplar auf Arbeit, aber ich glaube jetzt nach deiner Rezension, dass es doch nicht unbedingt etwas für mich ist. Gerade, wenn es einige Handlungsstränge gibt die eher überflüssig wirken .. ich brauche momentan etwas mehr Tempo beim Lesen. Vielleicht kommt für das Buch noch der richtige Augenblick. :)

    Liebst, Lotta

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ob etwas "überflüssig" ist, ist beim Leser ja sehr subjektiv betrachtet. : D Ich finde das Buch hat schon deutliche Stärken, wenn es um verschiedene subtile, gefühlvolle Passagen geht (Jedoch baut sich alles eher langsam aufeinander auf), aber ich bin manchmal auch eher auf eine "strikte" Handlung aus. Daher kann es durchaus sein, dass dir das Buch vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt eher zusagt. : )


      Liebe Grüße,
      Karin

      Löschen
  2. Liebe Karin,

    ich habe Im unwahrscheinlichen Fall auch erst gelesen und vor ein paar Tagen rezensiert und hoffe, dass es für dich wieder in Ordnung ist, dass ich deine Rezension in meiner unter der Überschrift »Weitere Rezensionen zu vorgestelltem Buch« verlinkt habe?

    Genauso wie du fand ich, dass die 1950er-Atmosphäre gut vermittelt wurde, also das Denken und Handeln der Figuren war absolut authentisch. Sehr gut gefallen haben mir die persönlichen Schicksale der jeweiligen Charaktere, die Flugzeugabstürze lagen gar nicht so sehr im Fokus, wie ich erst erwartet habe, aber eigentlich war das okay für mich, die Leben der Charaktere und ihre Schwierigkeiten untereinander waren auch so spannend zu verfolgen. Auflockernd zwischen all den Kapiteln, in denen jeweils ein anderer Charakter zu Wort kommt, fand ich, trotz ihres erschütternden Inhalts, die Zeitungsausschnitte. Wie ist es dir mit dem Merken der Namen gegangen? Hattest du auch dieses Lesezeichen dabei, wo alle wichtigen Namen und die Verbindungen untereinander standen?

    Alles Liebe ♥,
    Janine

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hey, natürlich ist das in Ordnung. : )

      Ich hatte am Anfang sicherlich einige Schwierigkeiten, die Namen sofort zuordnen zu können, da es ja wirklich relativ viele Figuren waren. Aber nach und nach kann man sich da etwas mehr reindenken und verknüpft die Schicksale etwas besser / schneller. Ein Lesezeichen hatte ich leider nicht. : D Gab es das im Buch dazu? Oder hast du es dir irgendwo ausgedruckt?


      Liebe Grüße,
      Karin

      Löschen
    2. Danke dir!

      Das ist eigenartig, dass bei dir kein Lesezeichen bei dem Buch dabei war. Ich hatte eines im Buch stecken, darauf sind alle wichtigen Protagonisten mit ihren Namen und wie sie zueinander in Verbindung stehen, zu finden. Aber mein Buch sieht auch ein wenig anders aus. Unterhalb am Cover sieht sieht man bei mir die Dächer einer Stadt. Ich habe das Buch aber vom Verlag (unangefragt) zugeschickt bekommen, vielleicht war es ein übrig gebliebenes Leseexmplar, das noch eine andere Aufmachung hatte? ;)

      Alles Liebe ♥

      Löschen

Mit dem Absenden Deines Kommentars bestätigst Du, dass Du meine Datenschutzerklärung, sowie die Datenschutzerklärung von Google gelesen hast und akzeptierst.